Der folgende Text wurde von drei Autor*innen gemeinsam verfasst. Die erste Person skizzierte den Beginn einer krisenhaften Situation. Die zweite Person spitzte die Krise zu und die dritte beendete sie so, wie es ihr stimmig erschien.

Kontrolle

Ich bin im Zug. Das Abteil ist mäßig besetzt und wir fahren durch die sommerliche Landschaft. Meine Blicke versuchen, etwas zu fixieren. Es geht nicht. Die Schaffnerin kommt. Ich sehe sie am Ende des Ganges. Sie kontrolliert die Fahrkarten. Langsam nähert sie sich meinem Platz. Ich greife in meine Jackentasche und suche mein Ticket. Ich kann es nicht finden!

Seit Jahren fahre ich mit der Bahn auf Geschäftsreisen, natürlich immer mit Ticket. Jetzt bloß nicht nervös werden, ganz ruhig. Die neue Sommerjacke hat ungewöhnlich viele Taschen. Eigentlich ganz praktisch, aber noch ungewohnt. Ich bin am Suchen, rechte oben, rechte unten, linke oben, linke unten, Innentasche. Jetzt werde ich doch unruhig, gleich ist sie hier. Tausend Gedanken rasen mir durch den Kopf. Musste es denn ausgerechnet diese Jacke sein? Ja, schwarz trage ich sonst immer und es ist Sommer, das darf sich auch in der Farbe widerspiegeln. Ein Gedanke von vielen zu meinem Abschied heute Morgen. Vor meiner Abreise zog meine Kleine schon aus Gewohnheit immer meine Jacke an, mit der Bitte: „Papa, bleib hier!“

Was mache ich jetzt, was mache ich jetzt? Täusche ich einen epileptischen Anfall vor? Ist mir übel? Bin ich freundlich oder…? Plötzlich spüre ich, wie ich einen knallroten Kopf bekomme.

„Ihre Fahrkarte bitte“, sagt die Schaffnerin zu dem Mann zwei Reihen vor mir. Dieser springt auf, packt die Frau an beiden Schultern und schreit sie an: „Was fällt Ihnen eigentlich ein, mich hier zu kontrollieren, als sei ich ein Schwarzfahrer! Jeder ehrliche Mensch kauft einen Fahrschein, bevor er sich in Zug, Bus oder Straßenbahn setzt! Haben Sie nichts anderes zu tun? Kümmern Sie sich lieber um diesen Schnösel da hinten in der Ecke, der seinen Mund-Nasen-Schutz nicht ordnungsgemäß trägt! Der infiziert uns hier alle mit Covid 19 und Sie schauen gelangweilt zu! Tun so, als sei eine Ticketkontrolle wichtiger! Immer nur wegschauen hilft gar nichts! Rein gar nichts!“ Dabei schüttelt der riesige Mann die arme Frau grob und ohne Unterlass, sodass sie mittlerweile schon blau anläuft!

Einer der anderen Passagiere hat inzwischen den Notruf ausgelöst und als wir in den nächsten Bahnhof einfahren, eilt ein Typ mit der Statur eines Ringers der Frau zu Hilfe. Am Bahnsteig warten zwei Polizisten mit Handschellen auf den Angreifer. Mir bleibt vor Schreck der Mund offenstehen!

Viele Menschen steigen aus und wieder ein. Der Zug setzt seine Fahrt fort. Die Schaffnerin bleibt zitternd in der Obhut eines Kollegen am Bahnsteig zurück. Noch drei Stationen – ohne Ticketkontrolle – bis zum Ende meiner Reise. Den Fahrschein entdecke ich dann im Hotel in meiner Hosentasche.