Der folgende Text wurde von drei Autor*innen gemeinsam verfasst. Die erste Person skizzierte den Beginn einer krisenhaften Situation. Die zweite Person spitzte die Krise zu und die dritte beendete sie so, wie es ihr stimmig erschien.
Der Brief
Wie war das nur passiert, dass ich hier am Straßenrand vor diesem verlassenen Friedhof in meinem Auto saß und völlig verwirrt in die Dämmerung starrte? Die Nachricht von der Beerdigung meiner besten Schulfreundin Beatrice hatte mich in letzter Minute über die Adresse meines Bruders erreicht. Wie lange hatten wir uns nicht gesehen und gesprochen? 30 Jahre, klackerte es in meinem Kopf. Mann wo war die Zeit geblieben? Wieso war unsere Freundschaft über diese Sache auf der Strecke geblieben?
Nach der Todesnachricht hatte ich einmal mehr lange gegrübelt. Aber bei allem, was war, trotz gebrochenem Versprechen: Ich war damals im Recht, dachte ich trotzig. Ja, ich hatte Recht mit meinen Argumenten und du, du hattest Unrecht mit deinen, versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen. Dieser Kinderkram. Mich einfach sitzen zu lassen, nachdem ich deiner Meinung nach dieses heilige Versprechen gebrochen hatte und du mir nicht mehr vertrauen konntest. Hast dich trotz meiner Entschuldigung nicht mehr gemeldet …
Es klopfte an der Autoscheibe. Ich schreckte so heftig zusammen, dass der Mann im dunklen Mantel ebenfalls einen Schritt zurück machte. Zögerlich ließ ich die Scheibe einen Spalt herunter. „Sie haben Licht an, nicht dass Ihre Batterie schlappmacht.“ „Äh, ja, oh ja, danke.“ Ich schaltete das Licht aus. Für die Beerdigung war es jetzt ohnehin zu spät. Der Mann ging weiter. Ich ließ das Fenster ganz herunter und rief ihm nach: „Sie, hallo, vielleicht können Sie mir sagen …“ Der Mann stoppte und kam zurück. „Ja, wie kann ich Ihnen helfen?“ „Ich wollte eigentlich zu einer Beerdigung hier im Ort, nur hier ist keine Beerdigung.“ Ich drehte den Kopf in Richtung Friedhof. „Wir haben einen neuen Friedhof am anderen Ende vom Dorf. Hier wird schon lange keiner mehr beerdigt. Wollten Sie zu der Beerdigung von Beatrice Ellmann?“ Ich sah ihn mit großen Augen an und versuchte zu ergründen, ob ich diesen Mann aus meiner Jugend kannte. „Ja, Beatrice war … meine beste Freundin.“ Bei „beste Freundin“ zögerte ich kurz, denn war sie das wirklich gewesen?
„Sind Sie Isa? Frau Ellmann hat in der letzten Zeit vor ihrem Tod oft von Ihnen gesprochen.“ Ich sackte in mich zusammen. „Ich habe Frau Ellmann heute beerdigt, ich komme gerade von dort.“ Mir schossen wieder die Tränen in die Augen, ich schluchzte. „Kommen Sie, ich begleite Sie zum neuen Friedhof, dann können Sie Abschied nehmen.“
In meiner Verwirrung stieg ich etwas umständlich aus dem Auto. Der Mann bot mir seinen Arm an, den ich dankend annahm. Er war der neue Pastor und hatte meine Freundin beim Sterben begleitet, wie er sagte. Meine Gefühle versuchten noch zu klären, ob das jetzt gut für mich war oder nicht, da sagte er: „Frau Ellmann hat mich gebeten, Ihnen diesen Brief hier zu geben. Sie wusste, dass Sie kommen würden.“ Mein Begleiter gab mir den Brief und wir gingen unter dem gelben Licht der wenigen Straßenlampen zum neuen Friedhof.